Fragen an Mika Reckinnen (06/2010)

Alle Rechte an diesem Interview liegen bei Andreas Dölling [AD] und Mika Reckinnen [MR].

Zine-Macher Mika Reckinnen

Vorbemerkung

Mika gibt seit Mitte der 90er Fanzines heraus. Seine aktuelle Veröffentlichung heißt „Alleiner Threat“ und wirft, wie Mika auf dem Cover proklamiert, „einen kritischen Blick auf Punk/Hardcore, urbanes Leben, Literatur und den anderen Scheiß“.

Das Interview

AD: Mika, du bist schon seit sehr langer Zeit als Fanzine-Macher und Autor aktiv, sozusagen ein Gewohnheitstäter. Dabei verfolgst Du aber einen etwas unkonventionellen Ansatz: anstatt nun ein Fanzine über Jahre hinweg aufzubauen und daran festzuhalten, hast Du schon sechs verschiedene Hefte aus der Taufe gehoben. Wie kommt’s? Ist das eine Linie, die Du bewusst verfolgst?

RB: Hallo Andreas! Es waren zwar erst fünf, aber ja, das liest sich etwas merkwürdig. Das „Strafraumpogo“ ist in der Mitte der 90er als „konventionelles“ Zine gestartet, irgendwo zwischen Fußball (SV Meppen und FC St. Pauli) und Musik (Punkrock). Das Zine hatte sich irgendwann mehr und mehr zu einem Musik-Zine gewandelt, so dass ich einige meiner Fußball-Sachen in einem eigenen Fußballzine zusammengefasst habe. Beim „Strafraumpogo“ ist dann die meiste Arbeit an mir hängen geblieben, so dass ich mich entschieden habe, gleich ein Ego-Zine zu machen. Das „Dirty Smoke“ und „Dirty Life“ sollten dabei Teile einer Trilogie werden, wo ich mich an den dritten Teil noch nicht herangetraut habe, da ich nicht weiß, ob ich da nicht zu viel und vielleicht sogar das Falsche von mir mitteile. Daher ist das „Alleiner Threat“ als neuestes Projekt geboren worden, um Kurzgeschichten und Gedanken zu einem Thema zu bündeln und zu publizieren.
Ich mache halt immer dann Fanzines, wenn ich das Gefühl habe, dass ich das als Ventil benötige. Daher häufig nur einzelne Ausgaben ohne einen größeren Zusammenhang oder einem Masterplan dahinter. In erster Linie mache ich die Hefte für einen Teil meiner Freunde und mich selbst. Es steht also kein „Marketing-Konzept“ dahinter, und ich teste auch nicht, welches Heft am besten läuft, um irgendwann ein Imperium zu errichten.

AD: Eine Ausgabe der Trilogie, die Du erwähnst, lief unter dem Titel „Dirty Smoke“. Es ist als Miniaturheft erschienen, das Du jeweils in eine Zigarettenschachtel verpackt hast. Eine super Idee, wenn sich das Heft auch wegen des winzigen Formats verdammt schwer lesen lies.
Wie haben denn Deine Leser darauf reagiert? Man muss ja in der Punk-Zine-Szene durchaus darauf gefasst sein, mit Vorwürfen bedacht zu werden, weil ja das Verwenden von Zigarettenschachteln Schleichwerbung ist. Und für Straight-Edge-Anhänger unter Deinen Leser muss ja diese Verpackung ganz und gar pfui-bäh gewesen sein.
:D
Bekommst Du denn überhaupt Leserreaktionen?

MR: Haha, nee, die Punkszene ist so auf Produkte, Bandnamen und anderen Marken eingefahren, dass aus der Position keine Kritik kam. Aber ernsthaft, keine Ahnung, warum das nicht kritisiert worden ist, aber es ist nicht kritisiert worden. Die meisten fanden die Idee irgendwie gut, weil es mal was Neues oder zumindest was Anderes war. LeserInnen-Reaktionen bekomme ich aber höchst selten und dann meistens von guten Freunden. Die Zeiten, dass man Leserbriefe bekommen hat, sind spätestens seit den 1990ern vorbei, obwohl E-Mail-Kommunikation die Sache heute vereinfachen würde. Aber das scheint ein großer Unterschied zwischen Print und Blog zu sein.

AD: Gibt es Unterschiede zwischen all diesen Zines, die Du gemacht hast und machst? Hast Du das Gefühl, dass Du Dich mit Deinen Heften immer mehr einem Ideal annäherst? Oder ist es womöglich so, dass es irgendwann mal diese zwei, drei fantastischen Ausgaben gab – so etwas, was nicht planbar ist und nicht wiederholbar? Ist Zine-Machen eine Sucht für Dich?

MR: Die Frage nach der Sucht ist ja super! Mache ich mir jetzt bei der Beantwortung zum ersten Mal Gedanken drüber. Ja, vielleicht ist das schon etwas Selbstdarstellungssucht, vielleicht auch etwas konkrete Selbstaufarbeitung, für die ich mir sonst wenig Zeit nehme. Aber es gibt schon sowas wie einen roten Faden. War das Strafraumpogo-Zine noch hauptsächlich Erlebnisberichte und Interviews, schreibe ich heute viel mehr Kurzgeschichten und Gedanken nieder. Das finde ich persönlich spannender zu lesen, und das ist es, was ich auch schreiben will. Jedes Heft spiegelt aber immer genau einen Zeitraum wieder, an den ich mich auch mit Hilfe der Hefte Jahre später konkret erinnern kann. Daher sind sie sicher nicht wiederholbar, aber da andere Zeiten und Erlebnisse kommen, handelt es sich eher um Ergänzungen. Zumindest für mich – ob das für Außenstehende immer nachzuvollziehen ist, kann ich schwer einschätzen.

AD: Im Grunde sind das ja auch Gedanken, die hinter der Erfindung des „Blogs“ stehen: einzelne Menschen schreiben über Dinge, die sie bewegen – meistens aus einer sehr persönlichen Sicht heraus. Blogs sind also ursprünglich so etwas wie digitale Ego-Zines. Wäre es nicht viel bequemer für Dich, einfach ein Blog aufzumachen? Was ist es, das Dich am Papier festhalten lässt?

MR: Ich habe mittlerweile schon ca. vier oder fünf Blogs angefangen und immer wieder aufgehört. Ich glaube, für Blogs braucht man stetig die gleiche Zeit, täglich oder zumindest wöchentlich. Ich bin leider der sehr unstete Typ, und da sind Fanzines, wo ich ein bis zweimal im Jahr meine Energie reinstecke, genau das Richtige. Außerdem kommen sie meiner Sammelwut entgegen, und sie sehen (in der Regel) besser aus. Ich habe Fanzines häufig mit mir, wenn ich mit dem Zug reise. Zudem sitze ich tagein, tagaus vor dem Bildschirm, und meine Augen freuen sich, wenn sie dann mal Schwarz auf Weiß kopiert was lesen können. Ich lese auch keinen Blog regelmäßig, da ich, wie gesagt, eh sehr viel im Netz und vor dem Bildschirm bin.
Was ich auch sehr gut finde, ist das Zitat einer Freundin von mir aus Manila. Mina, ihr Name, hat mal gesagt, dass sie sich immer freut, wenn sie nach Jahren alte Zines wiederentdeckt und ihre eigenen Gedanken und Artikel erneut lesen kann. Dem kann ich nur zustimmen. Das ist eine Art Zeitreise, eine Art Tagebuch. Selbst bei den Kurzgeschichten, die ich schreibe, fallen mir häufig wieder die Umstände oder die Initialidee ein, die zu der Geschichte geführt haben.

AD: Das Ego-Zine scheint Dein Lieblingsformat zu sein. Arbeitest Du bei künsterlischen bzw. publizistischen Projekten am liebsten allein, ohne Dich mit anderen abstimmen zu müssen? Oder hast Du einfach keine Mitstreiter gefunden?

MR: Hm, ich schreibe auch viele Texte für andere Zines, also würde ich mich nicht als „Solokünstler“ betrachten. Das mache ich, ohne Verantwortung zu übernehmen, und freue mich dann über die fertigen Hefte. Was meine Zines angeht, verändern die sich permanent bis zur Fertigstellung. Ich verfolge gewisse Ideen und verwerfe die auch wieder. Gerade weil ich keinen Masterplan habe und die Zines Ego-Zines sind, finde ich es schwer, andere dabei einzubinden. Vor allem käme es dann auch immer wieder zu Verzögerungen. Wir planen zu zweit seit knapp acht Jahren eine Ausgabe vom „Strafraumpogo“, ich habe fast zwei oder drei komplette Hefte zu Hause auf der Festplatte, die einfach nicht mehr aktuell sind. Das würde mich bei den Ego-Sachen ungeheuer ärgern, weshalb ich mich entschieden habe, das alleine zu machen. Aber mein Ziel ist, mit dem „Alleiner Threat“ auch weiterzumachen, und ich habe auch schon Leute vor meinem geistigen Auge, die ich zu gezielten Themen gezielt anfragen werde.

AD: Deine ersten Schritte als Punk und Zine-Macher hast Du in der ostwestfälischen Provinz gemacht. Wie hast Du denn damals Deine Hefte bekannt gemacht und vertrieben? Und wie war das so als Punker in der Diaspora? Ich selbst kenne es aus meiner eigenen Jugend in der Provinz so, dass dort zumindest in den 90ern eine erstaunlich starke alternative Szene existierte (Punks, Metaller, Neo-Hippies und die zwei Goths mal zusammengerechnet).

MR: Herzebrock-Clarholz ist zwar ein Kaff mit 15.000 EinwohnerInnen, aber tatsächlich eine Art Punk-„Hochburg“. Zu Konzerten von unbekannten Bands kommen und kamen nicht selten um die 100 Leute, bei bekannteren Acts sogar mehr. Das war ganz cool, zumal auch häufig zwei oder drei Autos gefüllt wurden und nach Münster oder Bielefeld gefahren wurde.
Was den Vertrieb der Hefte anging, war der allerdings weniger in Herzebrock organisiert, sondern über Mailorder und Vertriebe, die in den 1990ern noch viele Zines im Programm hatten. Fanzines waren halt vor dem Internet das Kommunikationsmedium, um über neue Platten, neue Bands und Konzertdaten auf dem Laufenden zu bleiben. Das hat sich heute geändert. Ich kümmere mich allerdings kaum um den Verkauf der Hefte. Ich mache recht geringe Auflagen (im dreistelligen Bereich) und verkaufe die sehr sporadisch.

AD: In Deinem neuesten Fanzine „Alleiner Threat“ mache ich zwei Schwerpunktthemen aus, die Dich besonders zu bewegen scheinen und die Du recht kontrovers angehst. Zum einen stellst Du die Frage, was Punk im Jahr 2010 in Deutschland eigentlich noch ist. Kannst Du kurz zusammenfassen, worum es Dir dabei geht?

MR: Naja, Punk beschäftigt mich halt, da ich a.) die Musik sehr mag und b.) die Einstellung dahinter liebe. Sprich, der DIY-Gedanke, jedeR kann alles machen, wenn sie oder er möchte. Ob das jedeR gut finden muss, ist eine andere Sache. Aber erstmal die Möglichkeit dazu haben, hat mich schon sehr befreit, auch unter dem Gesichtspunkt der dörflichen Herkunft.

Die Liebe zum Vinyl

Dabei finde ich besonders den Gedanken wichtig, eine Alternative zum üblichen Mainstream in der Rockmusik darzustellen. Ich finde Konzerte vor 100 Leuten, die frenetisch feiern, tausendmal besser als Konzerte in Hallen wie dem FZW in Dortmund oder sonstwo, wo 1000 Leute eine Band feiern, zum Teil weil sie gerade hipp ist. Keine Ahnung, liegt vielleicht an meiner Jugend, aber Menschenmassenaufläufe erinnern mich immer an Schützenfest, und diese Schützenfestatmosphäre und Punkrock passen meiner Meinung nach nicht zusammen.
Daher bin ich recht allergisch gegen Kommerzialisierung und Re-Union und so einen Kram, ohne mich dem ehrlich gesagt zu entziehen. Es gibt auch Mainstream-Bands, die ich mag, nur höre ich die mit einem anderen Grundverständnis. Daher verstehe ich nicht, warum es Punkbands zu großen Konzernen zieht, ohne nun die unabhängigen Labels im gleichen Zug zu romantisieren. Arschlöcher sind Arschlöcher, aber mir wäre es lieber, ein Freund verdient sich ein paar Kröten extra, als ein unbekannter Aktionär, dem es egal ist, ob er in die Musik- oder die Rüstungsindustrie investiert (mir ist durchaus bewusst, dass das jetzt nicht als Kapitalismuskritik dienen kann!). Im „Alleiner Threat“ geht es dann auch weniger darum, Lösungen zu finden oder eine stringente Argumentationslinie zu verfolgen, als mir selbst ein paar Sachen klar zu machen. Dafür gab es Lob, aber auch vernichtende Kritiken. Wobei die Kritiken leider kaum mit Argumenten unterfüttert waren, was ich sehr bedauere.

AD: Du sprichst von Schützenfesten. Ist nicht Punk auch manchmal wie Schützenverein? Mit Kleiderordnung, albernen Ritualen und zum Teil recht ausgeprägtem Tunnelblick?

MR: Beides hat sicherlich schon Parallelen. Unbeherrschter Alkoholkonsum und Gewaltattacken von Heranwachsenden hast du noch vergessen neben Kleiderordnung, albernen Ritualen und dem Tunnelblick. Aber Punk ist ja mittlerweile ein unglaublich umfangreicher Begriff geworden, vom klassischen Bahnhofs-/Dorfbrunnenpunk mit Irokesenschnitt und schalem Dosenbier, bis zum hippen Studenten, der sich in der „Punkrock-Disko“ das Becks für 3,50 Euro schmecken lässt. Daher finde ich, dass man Punk nicht über einen Kamm scheren sollte. Punk kann durchaus progressiv, emanzipatorisch und originell sein, was ich Schützenfesten bis zum Beweis des Gegenteils absprechen würde, haha. Wobei ein progressives Schützenfest schon wieder sehr Punkrock wäre.

AD: Wenn ich Dich nicht missverstehe, kritisierst Du anhand der Reunion von „Slime“, dass es blöde sei, wenn ältere Herren Lieder von vor zwanzig Jahren singen, während gleichzeitig von Bands, Fans und Fanzines die wichtigen Themen unserer Zeit vernachlässigt oder als vielleicht zu heikel umgangen werden. Du schreibst, dass „Themen wie Homophobie, Vergewaltigung und Rassismus […] in einem zumeist abstrakten Rahmen diskutiert [werden], dass es schon wehtut.“ Was meinst Du damit?

MR: Die (vor allem politische) Themenvielfalt im Punk ist meiner Meinung nach schon recht eng begrenzt. Klar gibt es zu fast jedem Thema Songs, aber viele Themen werden nur vereinzelt oder sogar nur von wenigen Bands besungen. Vielleicht liegt das aber auch nur an dem begrenzten Ausschnitt von Punk, den ich mitbekomme.
Dennoch hat derweil jede zweite Band einen Song gegen Nazis im Gepäck. Klar sind Neonazis ein gesellschaftliches Problem, aber nicht das einzige. Und Neofaschismus ist eigentlich nur die offensichtlichste Art von Rassismus in Deutschland. Da lässt sich am einfachsten drauf zeigen und sagen „blöde Nazis“. Spannender wäre mal zu hinterfragen, warum der Anteil von Punks mit Migrationshintergrund in Deutschland relativ begrenzt ist. Oder auch bei den US-Bands. Ich glaube, die Bands mit Schwarzen in der Band, die ich je live gesehen habe, kann ich immer noch an meinen Fingern abzählen, und ich bin mir nicht mal sicher, ob ich beide Hände gebrauche. Wäre mal ein spannendes Thema, und vor allem ein sehr offensichtliches. Wird aber nur selten thematisiert!
Darüber hinaus gibt es leider sehr wenige Bands, die mir neue Themen näher bringen oder mich thematisch bereichern. Die meisten Texte spielen mittlerweile, bei den Bands die ich höre, im persönlichen, zwischenmenschlichen Bereich. Und auch hier geht das selten über klassische „heterosexuelle Pärchen“-Probleme hinaus.

AD: Was sind denn so Deine favorisierten Bands und Zines, die Dich auch thematisch packen und inspirieren?

MR: Bei Fanzines ist das unterschiedlich. Ich freue mich immer wieder über Zines, die einen hohen Anteil an persönlichen Gedanken und Erlebnissen haben. Dazu am besten noch gute, packende Kurzgeschichten. Darüber hinaus finde ich es auch gut, wenn politische Themen diskutiert werden. Nervend finde ich mittlerweile 90 Prozent aller Bandinterviews, weil das meiste unglaublich nichtssagend ist. Fragen und Antworten sind austauschbar.
Bei Bands ist das auch sehr unterschiedlich. Ich höre im Moment viel Songwriter und Country-Kram, und da gibt es viele gute und viele schlechte Sachen. Bei Punk/Hardcore eigentlich das gleiche. Einzige Konstante in den letzten 10 Jahren ist die unbremsbare Liebe zu Leatherface, deren neues Album ich empfehlen würde, auch wenn es bei Weitem nicht an mein Lieblingsalbum „Mush“ herankommt.

AD: Ein anderes Thema, dem Du einen langen und wirklich interessanten Artikel widmest – explizit als Diskussionsbeitrag gekennzeichnet –, ist das des Urheberrechts und des geistigen Eigentums und Verwertungsrechts im Musikbereich. Du greifst dabei ein Vorwort des „Ox“-Magazins zum selben Thema auf und nimmst eine Gegenposition ein, indem Du gegen eine überzogene Kriminalisierung nicht authorisierter Musik-Downloads argumentierst. Hast Du schon Reaktionen bekommen, vielleicht auch vom „Ox“?

MR: Das „Ox“ hat in einem Review den sachlichen Ton gelobt. Das fand ich gut, auch wenn es leider keine weitere Diskussion dazu gab. In zwei anderen Zines gab es dafür Verrisse, weil ich laut dem einen Zine mir keine anderen Meinungen eingeholt habe und meine Aussagen daher relativ wenig unterfüttere. Das andere Zine hat das mit „Bullshit“ abgewatscht, aber da der Rezensent in Sachen Urheberrecht als Rechtsanwalt aktiv ist, fand ich es schon etwas schade, dass keine Argumente kamen. Aber vielleicht kann der Herr auch nicht aus seiner Haut.
Generell finde ich das ein Thema, was spannend ist. Geistiges Eigentum im Musikbereich ist ja nur ein kleiner, unbedeutender Ausschnitt. Patente auf Saatgut, Medikamente, Lebewesen etc. sind ja längst Realität. Aufgrund dieser Schutzbestimmungen sterben täglich Menschen. Das klingt zwar jetzt pathetisch, entspricht aber leider der Realität. Die Musikindustrie ist einer der größten Verfechter des Schutzes des geistigen Eigentums, von dem auch andere Industriezweige profitieren würden. Daher war es mir wichtig, dieses Thema mal aufzuarbeiten. Ich hoffe, dass im Anschluss vielleicht noch ein paar Artikel von KollegInnen daraus entstehen.

AD: Was genau wäre denn Dein Ansatz? Musik, jedenfalls in digitaler Form, grundsätzlich kostenlos zur Verfügung zu stellen und Geld über Live-Auftritte, Fan-Artikel und Tonträger (Vinyl und CD/DVD) zu verdienen? Was ist mit der berühmten kleinen Band, denen man durch das illegale Herunterladen ihrer Musik die Chance verbaut, Geld mit ihrer Kunst zu verdienen und ihr Schaffen so überhaupt zu finanzieren? Wie ist es mit Bands, die ihre Werke im Selbstverlag veröffentlichen?

MR: Im Heft habe ich das sehr einseitig thematisiert, was natürlich eine Reaktion auf den Ox-Artikel war. In der Realität gibt es natürlich keine einfachen Lösungen. Zum einen finde ich es Scheiße, wenn Menschen sich Terabytes an Musik herunterladen, ohne diese wertzuschätzen. Das ist eine Sammelwut, die ein wenig von Wühlkiste hat: ich nehme alles, was ich kriegen kann – wer dafür bezahlt, ist mir egal. Daher sollte es auch „Erziehung“ von HörerInnen geben, zum Beispiel durch entsprechend aufgemacht Musik-„Produkte“, dass HörerInnen wieder eine Bereitschaft entwickeln, für Kunst Geld auszugeben. Auf der anderen Seite finde ich nicht, dass jede Band gleich mit ihrer Musik Geld verdienen muss. Aufnehmen und CDs zu pressen ist einfach relativ günstig geworden, so dass Tausende von Bands gleich CDs aufnehmen. 10 Euro für eine CD, die in der Produktion nur 2 oder 3 Euro kostet (und dann ist sie schon gut aufgemacht), ist halt eigentlich eine Frechheit. Zumal CDs eh Wegwerfprodukte sind. Generell gibt es im Moment viel zu viele Bands und zu wenig Publikum, das bereit ist, sich auch kleinere Bands anzusehen.
Vor Bands, die ihre Musik im Selbstverlag veröffentlichen, habe ich sehr großen Respekt. Ich glaube, dass es sehr viel Arbeit ist. Aber, auf der anderen Seite, gewinnen sie dadurch auch eine gewisse Integrität.
Was mich persönlich angeht – ich versuche soviel Vinyl wie möglich (und nötig) zu kaufen und Bands, die mir gefallen, so zu unterstützen. Das Vinyl kaufe ich wiederum bei den Labels oder Bands direkt bzw. bei einigen wenigen Plattenläden. Ich hatte Phasen, wo ich viel Musik heruntergeladen habe. Die Sachen, die mir gefallen, besitze ich aber mittlerweile auf Vinyl (es sei denn es gibt sie nur noch bei Ebay für über 20 Euro … dann sage ich: LECK MICH!). CDs kaufe ich nur in den Philippinen von lokalen Bands dort, da ich CDs so gut wie nicht höre.

AD: In Deinen Heften sind viele Fotos abgedruckt, die Du in verschiedenen Ländern Asiens gemacht hast. Du scheinst oft in Asien unterwegs gewesen zu sein (in einem Heft hast Du beispielsweise einen Reisebericht aus China) und bist gerade auch beruflich auf den Philippinen. Hast Du ein besonderes Interesse für Ost- und Südostasien? Und was machst Du gerade dort?

Foto von Protesten vor dem philippinischen Parlamentsgebäude

MR: Interesse an Ost- und Südostasien: Ja! Folgefrage wäre: Warum? Keine Ahnung, wäre die langweilige Antwort, das hat sich so entwickelt. Das erste Mal, dass ich den europäischen „Kulturkreis“ verlassen habe, war 2006 in Richtung Laos, Thailand und Burma, und aus diesen Erfahrungen konnte ich für mich sehr viel herausziehen. Auch was Einstellungen und Ansichten angeht, finde ich die asiatische Mentalität sehr gut. A.) Nie das Gesicht verlieren; B.) immer versuchen nach außen freundlich zu bleiben; und C.) was passiert, passiert halt. Man sollte versuchen, es mit Humor zu nehmen (v.a. in den Philippinen).
Heute arbeite ich für ein sozio-politisches Informationszentrum zu den Philippinen und bin daher gerade beruflich in den Philippinen. Zum einen war ich drei Wochen als Wahlbeobachter unterwegs und im Anschluss vier Wochen zum Themen Menschenrechte und Umweltschutz bei Bergbauunternehmungen, die von deutschen Banken finanziert werden. Ich bin zum dritten und nicht letzten Mal in den Philippinen und muss sagen, dass mir sehr viel an diesem Land gefällt. Am meisten allerdings der Humor, wie man politischen Begebenheiten begegnet, der immer mit einer tiefen Portion Melancholie verbunden ist.

AD: Wie sieht es denn auf den Philippinen mit der Punk-Szene aus? Gibt es so etwas dort überhaupt?

MR: Es gibt eine sehr aktive Punkszene, allerdings kann ich eigentlich nur was zu einem kleinen Ausschnitt von Manila erzählen. Aus dem Raum Manila gibt es recht viele Bands, die meisten machen Hardcore oder Metal. In Cebu City, der zweitgrößten Stadt, soll es auch eine Szene geben und in vielen ländlichen Provinzen ebenfalls. Es gibt auch eine Handvoll Fanzines, die allerdings noch unregelmäßiger erscheinen als meine Zines, haha. Gut war vor allem das Filter-Zine, aber leider hat sich das Paar getrennt, das es gemacht hat. Aber zumindest 50% von dem Pärchen konnte ich für mein Zine abwerben, haha. To be continued.
In Manila City, Catimar Mall, gibt es auch einen kleinen Plattenshop namens Middlefinger Records, den ich sehr empfehlen kann. Musikalisch gefallen mir eigentlich The Beauty of Doubt, Istukas Over Disneyland, Toxic Orgasm, Bad Omen, Einstein Chakras, Grenada und Throw am besten. Nicht Punk, aber genial sind auch Go-Signals, eine Mischung aus alten The Jam und The Movement aus Dänemark. Einfach mal bei Myspace suchen und dann durch die Freundeslisten klicken. Lohnt sich.
Es entsteht auch gerade eine Alternative-Country-Szene, vor allem durch Personen wie Chuck Ragan und Tim Barry beeinflusst. Auch das ist sehr interessant, weil viele Leute aus der Punkszene kommen.

AD: Mika, danke, dass Du Dir für meine Fragen Zeit genommen hast! Wenn Du noch etwas loswerden möchtest …

MR: Vielen Dank für das Interview. Hoffe, wir haben demnächst mal wieder die Gelegenheit, uns in natura auf ein Bier zu treffen. Ansonsten freue ich mich immer über Mails und auch Anfragen, was zu Zines beizusteuern. Wenn jemand was von mir lesen möchte, dann gerne auf http://alleinerthreat.blogsport.de – oder die Zines bestellen. Leute aus dem Ruhrgebiet auch gerne auf ein Bier.