Fragen an Philipp Bäppler (03/2008)
Alle Rechte an diesem Interview liegen bei Andreas Dölling [AD] und Philipp Bäppler [PB].
Vorbemerkung
Im letzten fanzineindex.de-Interview haben wir ein „Riot Grrrl“ zu Wort kommen lassen. Dieses Mal wenden wir uns nun sozusagen der männlichen Seite des Punk zu. Philipp Bäppler gibt seit Ende 2003 das Fanzine „Human Parasit“ heraus. Die 7. Ausgabe ist nach einer längeren Pause gerade eben erschienen.
Das Interview
AD: Warum hast du dich 2003 dazu entschlossen, ein eigenes Fanzine auf die Beine zu stellen? Du hättest ja auch bei den vielen bereits existierenden Punk-Zines mitwirken können.
PB: Das Medium Fanzine hat mich schon sehr früh fasziniert. Als der Rene 1997 in der zweiten Ausgabe seines „Is nich so gut“-Fanzines einen Bericht über eine etwas unglückliche Geburtstagsparty in meinem Kinderzimmer abdruckte, war ich stolz wie Oskar. Auch das „Plastic Bomb“ gehörte in dieser Zeit schon zu meinen bevorzugten Klolektüren. Irgendwann erreichte ich dann das Alter, in dem ich auch aktiv etwas zu der Szene beitragen wollte, zu der ich mich zugehörig fühlte. Aus der bloßen Ebene des Konsumierens ausbrechen und selber etwas auf die Beine stellen. Erste Gehversuche in der Deutschpunk Band „Norm-A“ scheiterten kläglich, so dass ich zusammen mit Olli den Entschluss fasste, ein Fanzine zu veröffentlichen. Das kann schließlich jeder Depp. Da wir uns nach niemandem außer uns selber richten wollten, lag es natürlich nah, ein neues Fanzine auf die Menschheit loszulassen. Es stand auch von Anfang an nie zur Debatte, irgendwo anders mitzumischen. Die Lorbeeren wollten wir mal schön alleine ernten und so erschien vor nun schon fünf Jahren die Erstausgabe des „Human Parasit“. Wenn ich mein Heft heute selber reviewen müsste, gäbe es einen ganz herben Veriss glaube ich. Die eigenen Ansprüche sind schon ganz schön gewachsen, und ich denke, dass ich mit dem „Human Parasit“ eine gute Entwicklung gemacht habe, was sowohl Inhalte als auch Optik angeht.
AD: Der „Human Parasit“ liest sich zum Teil wie ein Ego-Zine, ist also sehr persönlich und dadurch sehr überzeugend und sympathisch. Machst du denn tatsächlich das ganze Heft in Eigenregie oder hast du Mitstreiter? Und wer zeichnet eigentlich die Titelbilder?
PB: Mit Olli zusammen habe ich das Heft gegründet. In den ersten Ausgaben war auch noch Ninne mit an Bord. Allerdings gab es schon eine nicht abgesprochene Aufgabenverteilung. Olli zeichnete sich für die politischen Artikel verantwortlich, ich war für den persönlichen Teil zuständig. Das lag mir schon immer. In einem Review stand mal, dass ich mein Herz auf der Zunge tragen würde. Ich finde, die Feder ist treffender als die Zunge. Mir ist es schon immer leichter gefallen, persönliche Dinge niederzuschreiben und so für mich zu verarbeiten, als im persönlichen Gespräch, und die Feder ist mächtiger als das Schwert, oder so … Ich hab den Human Parasit immer als mein Ding angesehen, als meinen Tagebuchersatz, als mein Sprachrohr und als mein Mittel zur Profilierung. Ich wollte nie mit erhobenem Zeigefinger arbeiten, dann eher auf Basis von Ironie und Sarkasmus zum Nachdenken anregen oder ganz einfach unterhalten und persönliche Erfahrungen verarbeiten.
Der „Human Parasit“ muss keinen Ansprüchen außer meinen eigenen genügen.
Ninne verabschiedete sich dann ab der dritten Ausgabe, dafür gewannen wir den einen oder anderen Gastschreiber. Nach der sechsten Ausgabe trennte ich mich von Olli, da wir uns ganz einfach auseinanderentwickelt hatten. Lange lag das Heft danach auf Eis, bis ich es vor ein paar Monaten aus dem Gefrierfach im Keller geholt habe. Komplett in Eigenregie ist keine Ausgabe entstanden, es gab immer Leute, die mir tatkräftig unter die Arme gegriffen haben, und sei es „nur“ finanzielle Hilfestellung. Beim aktuellen Heft habe ich auf ein super funktionierendes Netzwerk zurückgreifen können, das von Gastartikeln über Druckereikontakte bis zu einer ganzen Reihe von Weiterverkäufern reichte. Nicht zuletzt Freundin Ina, die jeden Artikel gegenlesen musste und mir die etlichen Stunden vorm Computer ein ums andere mal versüßen konnte. So viele Menschen haben noch an keiner Ausgabe mitgewirkt, und mit dem Endergebnis bin ich vollauf zufrieden. Lediglich bei der dritten und fünften Ausgabe gab es eigens gezeichnete Cover, die von Freunden angefertigt wurden. Ansonsten kommt aufs Cover, was mir gefällt. Das Titelbild der aktuellen Ausgabe ist aus einem Textheft der Band Provoked und für die nächste Ausgabe werde ich einen Bekannten fragen, ob ich eins seiner Bilder verwenden darf.
AD: Wie gerade schon angedeutet, haben sehr persönliche Beiträge eine große Bedeutung in deinem Heft. Gerade in der aktuellen Ausgabe glänzt du dabei mit sehr schönen selbstironischen Anekdoten aus deinen ersten Schritten als echter Punker. Als ich dies las und vor Lachen fast vom Stuhl fiel, kam mir in den Sinn, dass es solche heiteren Elemente eher selten in Punk-Zines gibt. Jedenfalls ist es mein Eindruck, dass Punk dort oft recht bierernst und humorlos herüberkommt. Was meinst du dazu? Und woran könnte das gegebenenfalls liegen?
PB: Da muss ich dir teilweise recht geben. Das letzte Heft, das mich mal wieder richtig zum Lachen gebracht hat, war die vorletzte Ausgabe des „Blut im Stuhl“ und ein „Hägar der Schreckliche“-Comic. Allerdings hab ich schon in einigen anderen Zines über die ersten Punkrock-Gehversuche der Herausgeber lachen können. Es gab da mal in der „Plastic Bomb“ eine echt lustige Reihe, aber es stimmt schon, dass solche Anekdoten eher spärlich gesät sind. Kann ich dir nicht beantworten, warum manche Hefte, gerade im Punkbereich, so bierernst daherkommen. Mir fallen da spontan so einige Fanzines ein, deren Herausgeber einen relativ dicken Pfosten im Arsch stecken haben müssen. Irgendwann hängt es mir zum Hals raus, wenn sich der Verfasser pausenlos über seine Umwelt, die Gesellschaft oder die Szene auslässt und überall immer nur das Negative sieht. Manchmal hab ich den Eindruck, dass so manche Schreiber gar keinen Keller haben, in den sie zum Lachen gehen könnten. Für mich sind persönliche Artikel enorm wichtig, sie bringen mir den Autor näher, lassen mich an seinen Erfolgen und Rückschlägen, an seinen Erfahrungen und Fehltritten teilhaben und ihn einfach besser kennen lernen. Und Punk ist eben einfach humorlos: Punkerin zum Verkäufer: „Kann ich die Klamotten wieder umtauschen, wenn sie meinen Eltern gefallen?“
AD: Eine weitere sehr interessante Frage, die in der aktuellen Ausgabe des „Human Parasit“ ja gewissermaßen das Schwerpunktthema bildet, ist die nach „Punk & Porno“. Du beschäftigst dich sehr ausführlich mit Produzenten von „alternativen Pornos“ und mit den „Suicide Girls“ und diskutierst mit anderen Menschen aus dem Punk-Umfeld über Pornografie und die jeweilige Haltung dazu. Interessanterweise scheint dieses Thema ja im Moment viele Leute umzutreiben, und erst im letzten fanzineindex.de-Interview wurden ebenfalls die „Suicide Girls“ angesprochen. Zu welchem Fazit bist du denn bei deinen Recherchen und Diskussionen gekommen?
PB: Die Artikel über „Punk und Porno“ nehmen sehr viel Platz im aktuellen Heft ein, das ist richtig. Dennoch finde ich, dass ich noch viel mehr aus dieser Thematik hätte rausholen können, weswegen es auch im nächsten Heft eine Fortsetzung geben wird. Mein Fazit aus dieser Geschichte: Eine Symbiose aus Punk und Porno gibt es nach meinem Verständnis beider Begriffe nicht. Punkporno ist ein Oxymoron. Dieses Themengebiet ist unglaublich komplex, und es war sehr spannend, mit vielen unterschiedlichen Menschen darüber zu sprechen. Ich finde, dass Sex ein sehr wichtiges Thema ist und nur zu oft tabuisiert wird. Auch sehr vielen Menschen aus meinem Bekanntenkreis war es ein „zu heisses Eisen“, über ihre persönlichen Erfahrungen und Ansichten von Pornografie offen zu sprechen, oder sie gleich zu veröffentlichen.
AD: Ist es sehr gewagt, den Erfolg von „Suicide Girls“ und Co in der Punk-„Szene“ als ein Indiz für die Verbürgerlichung der Revoluzzer zu sehen? Lügt man sich nicht in die Tasche, wenn man „Suicide Girls“ als „ganz anders“ einstuft, „fairer“ als andere Titten- Websites und irgendwie „alternativ“? Auch bei „Suicide Girls“ wird doch Geld verdient. – Hat man dort nicht einfach eine Marktlücke entdeckt und gefüllt: nämlich dass auch Punker Triebe haben und ihnen gerne nachgeben möchten, ohne sich unpunkig zu fühlen? Sind nicht „Suicide Girls“ und „Punx Productions“ gewissermaßen pornografische Tofu-Grillschnitzel?
PB: Da es meiner Meinung nach keine Verbindung zwischen Punk und Porno gibt, kann ich da nur mit dem Kopf schütteln. Klar haben die „Suicide Girls“ Erfolg, die Beatsteaks, die Kassierer oder Eike Immel haben auch Erfolg. Was juckt mich das? Sicher bedienen die „Suicide Girls“ oder „Punx Productions“ nur eine Marktlücke, und sicher springen da immer mehr auf den fahrenden Zug auf, um auch ein Stück vom großen Punkerkuchen abzubekommen. Dass sich mit Punk Geld verdienen lässt, wusste schon Malcom McLaren. Die Frage ist hier, inwieweit mich das persönlich angreift, stört oder nervt. Und sind es wirklich die krassen Straßenpunker, die sich heimlich im Internetcafe Seiten wie „Suicide Girls“ anschauen? Ich denke nicht. Der Pornokonsument rekrutiert sich aus allen Gesellschaftsschichten, ob Bankier, Hausfrau, Rentner oder eben Punkerin.
AD: Was macht denn deiner Meinung nach heutzutage überhaupt noch Punk aus? Du schreibst ja im aktuellen „Human Parasit“ darüber, dass es ganz normal geworden ist, als Punk ein Handy zu besitzen oder als Punk-Band bei Myspace vertreten zu sein. Gerade Letzteres ist ja ein bißchen inkonsequent, denn wie ich durch dein Zine lernen konnte (danke!), gehört Myspace zum Medien-Imperium des Rupert Murdoch. Was bleibt also von Punk, wenn man alles mitmacht?
PB: Punk ist immer das, was du für dich selber daraus machst. Es gibt keine Anleitung zum Punkersein, und wenn du dich nicht an die Regeln hälst, darfst du nicht mehr mitspielen. Ich persönlich finde MySpace zum kotzen, kann es aber tolerieren, wenn es andere für ihre Zwecke nutzen. Vor 10 Jahren gab es noch Schimpfwörter wie Internet- oder Handypunk. Heutzutage sind diese Dinger nicht mehr wegzudenken. Punk ist für mich immer eine kritische Hinterfragung der eigenen Umwelt, und ich kann mich auch mit Spitzen-DSL, Handy, eigenem Auto und eigener Wohnung wunderbar toll Punk fühlen.
AD: Wo wir doch gerade bei so fundamentalen Fragen sind – du bist ja vor geraumer Zeit der Liebe wegen von Mönchengladbach nach Eisenach gezogen. Wie ist es denn dort um die alternative Szene bestellt? Und gibt es Unterschiede zwischen Punks in Ost und West?
PB: Eisenach stinkt genauso wie Mönchengladbach oder Dortmund. Jede Stadt hat gewisse Vor- und Nachteile. Eine alternative Szene gibt es in Eisenach eigentlich nicht, oder ich will nichts mit ihr zu tun haben. Das war in Mönchengladbach aber ähnlich. Dieser Ost-West-Konflikt ist mir in Mönchengladbach nie bewusst gewesen, erst hier habe ich gemerkt, dass er noch in so manchen Köpfen rumspukt, und das sind nicht nur die Stammtischhelden oder Kleingartenschreber, sondern auch der eine oder andere alternative Kopf ist vor gewissen Stereotypen nicht gefeit. Zu den Highlights zählt zum Beispiel, dass es im Osten nur so vor Nazis wimmele und man sich mit bunten Haaren nicht mal auf die Straße trauen dürfe. Ich persönlich finde es im Ruhrgebiet um einiges brauner als in Eisenach oder Erfurt. Die Unterschiede zwischen Ost und West waren früher sicher gravierender, heute findest du den bärtigen, gürteltaschentragenden Crustpunker oder die 14-jährige „Nix-Gut“-Road-Crew in Chemnitz, Leipzig, Hannover … einfach überall.
AD: Was bedeutet der Umzug für den „Human Parasit“? Wird es schwieriger, das Heft unter die Leute zu bringen? Oder läuft das meiste eh per Post?
PB: Da die letzte Ausgabe schon über 2 Jahre her ist, war ich schon ein bisschen gespannt, wie die Resonanz auf den neuen „Human Parasiten“ ausfällt und ich muss sagen, dass ich echt überrascht wurde. Die Dinger sind mir nahezu aus den Händen gerissen worden, und durch die Zusammenarbeit mit Kidnap Music sind in nicht einmal 4 Wochen über 400 Hefte verkauft. Ich hab mich auch auf Konzerten nicht sonderlich angestrengt. Es ist teilweise doch sehr ermüdend, wenn man immer wieder aufs neue erklären muss, worum es sich bei einem Fanzine handelt. Viele scheinen halt überhaupt keine Ahnung zu haben, wie viel Zeit, Energie und Liebe in so einem Heft steckt. 2 Euro sind viel zu teuer, und dann wird die Barschaft lieber an der Theke in Flüssigbrot investiert. Über die Jahre hab ich mir schon viele dämliche Sprüche anhören müssen und oft erkennt man auch am Publikum, ob es sich überhaupt lohnt, eine Verkaufsrunde zu starten. Bei der aktuellen Ausgabe ist sehr viel übers Internet gelaufen, obwohl es immer noch keine Internetpräsenz vom „Human Parasit“ gibt. Ich hab mir aber vorgenommen, mir ein paar Fähigkeiten anzueignen, und vielleicht wird das dann ja bald mal was mit der Parasiteninvasion im weltweiten Netz … Reaktionen, Leserbriefe oder Bestellungen auf dem ganz altmodischen Postweg hab ich, glaube ich, in den 5 Jahren drei Stück bekommen.
AD: Ich habe ja nun so viele provokante „Anti-Punk-Fragen“ gestellt – ;) – da möchte ich nun auch mal etwas erwähnen, das ich super finde: es scheint mir, als seien in Sachen Fanzines die Punks die produktivste Szene in Deutschland. Zumindest bei fanzineindex.de stellen sie nicht nur das zahlenmäßig stärkste Genre, sondern auch das mit den aktivsten Machern. Woran liegt das deiner Meinung nach? Und findest du es eher gut, wenn jeder sein eigenes Heft macht, oder würdest du es besser finden, alle Kräfte für ein paar Super-Duper-Kracher-Hefte zu bündeln?
PB: Natürlich ist es besser, wenn jeder, der darauf Bock hat, sein eigenes Heft macht und seine eigenen Ideen und Vorstellungen verwirklicht. Das bringt doch auch Abwechslung und Vielfalt in die Fanzinelandschaft. Ich denke, dass die Vernetzung innerhalb der Punkszene sehr gut funktioniert, und wenn irgendwo ein neues Heft erscheint, liest man schon in irgendeinem bekannteren Heft ein Review darüber und kann dann mit den Machern in Kontakt treten. Was ich allerdings bei Punkfanzines sehr oft beobachtet hab ist, dass die Macher nach nur ein paar Ausgaben die Segel streichen und ihr Heft ad acta legen. Dafür kommen dann aber immer wieder neue nach. Es gibt nicht viele Hefte, die kontinuierlich Ausgabe um Ausgabe veröffentlicht haben und dabei über eine Nr. 10 hinausgekommen sind. Die Idee mit dem Super-Duper-Kracher-Heft hatte ich tatsächlich mal. Bei der Organisation des Fanziner-Treffens in Oberhausen reifte diese Idee mit ein paar bekannteren Autoren ein gemeinsames Heft zu veröffentlichen und dieses dann beim nächsten Fanziner-Treffen zu präsentieren. Da es aber so gut wie gar keine Resonanz auf das Treffen und das Fanzineprojekt gab, hatte sich dieses Thema für mich erledigt.
AD: In deinen Rezensionen gehst du zum Teil ziemlich harsch mit Fanzine-Neulingen bzw. mit deren Heften um. Findest du das nicht manchmal etwas zu hart? Sollte man sich nicht über jeden freuen, der aktiv wird und selbst etwas auf die Beine stellt, anstatt ihm für jede Schwäche so vehement auf die Finger zu klopfen und ihm dadurch vielleicht die Lust zu nehmen weiterzumachen?
PB: Ich freue mich auch über jeden, der aktiv wird und selber was auf die Beine stellt. Das hab ich auch schon oft genug in den Reviews deutlich gemacht, und warum soll ich es in jeder Besprechung wieder erwähnen? Warum soll ich ein Heft gut besprechen, nur weil es die erste, zweite oder dritte Ausgabe ist? Ich hab oben schon mal erwähnt, dass ich die Erstausgabe des „Human Parasiten“ jetzt selber ganz schön verreissen würde. Da muss man halt durch und Lehrgeld zahlen. Ein Review eines anderen Heftes beinhaltet lediglich meine Meinung, und wenn mir etwas nicht gefällt, dann schreib ich das auch. Ich würde doch schnell an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn ich alles gut und toll bespreche, nur damit sich der Fanzinerkollege selber auf die Schulter klopfen kann. Bullshit! Wer nicht mit Kritik umgehen kann, darf auch kein Fanzine herausbringen. Es ist doch ganz klar, dass man mit dem, was man da fabriziert nicht nur Freunde findet und ich muss sagen, dass mich üble Verisse in anderen Heften erst recht neugierig auf das besprochene Produkt machen. Wer sich durch eine schlechte Besprechung den Mut nehmen lässt, sollte vielleicht doch wieder anfangen, Wollsöckchen für Omis Kätzchen zu stricken.
Ich finde das ein sehr interessantes Thema, welchen Stellenwert man Reviews überhaupt einräumt. In vielen Heften sind sie zum unabdingbaren Standard geworden, in vielen Heften nehmen sie zusammen mit den Werbeanzeigen einen Großteil der Seiten ein, und in vielen Heften gleichen sie den Werbeanzeigen schon fast im Wortlaut. Ich brauch das nicht, bespreche lieber nur andere Hefte, aber dafür ausführlich. Ich persönlich ordere direkt ein neues Heft, von dem ich irgendwo ein Review entdecke, unabhängig, ob es positiv oder negativ besprochen wurde. Schließlich will ich mir mein eigenes Bild davon machen, und nur weil es dem Rezensenten nicht gefallen hat, muss es mir noch lange nicht genauso ergehen. Ich möchte in einem Review nicht objektiv die Fakten und Randdaten des Heftes aufzählen, sondern volle Pulle subjektiv meine Erfahrungen und Ansichten zu dem Besprochenen ausdrücken. Und dann kann es zum Teil auch schon mal „harsch“ werden.
AD: Ich sollte letztens in einem Interview die Frage beantworten, warum ich glaube, dass es trotz des Internet immer Fanzines in Papierform geben wird. Was sagst du denn dazu? Mach mal Werbung für Print-Zines!
PB: Trotz CDs und DVDs wird es auch immer weiter Kassetten und Schallplatten geben. Grundsätzlich hat das Print-Zine gegenüber der Onlineversion die größeren Vorteile. Ich kann lesen, wann und wo immer ich es will, ob auf der Couch, im Urlaub am Strand oder eben auf der Toilette. Einem Print-Zine sieht man an, wieviel Herzblut, Zeit und Energie des Machers darin steckt, man schmeckt es quasi, wenn man sich die Druckerschwärze von den Fingern leckt. Onlinezines hingegen haben den Vorteil, dass sie viel aktueller sein können, mit weiterführenden Links, bunten Blinklichtern oder gar musikalischer Untermalung aufwarten können. Dennoch gibt es kaum ein Onlinezine, das ich regelmäßig besuche. Ich finde es einfach ungemütlich, längere Zeit vorm Rechner zu sitzen. Fanzines gehören auf Papier und werden auch immer weiter auf Papier erscheinen.
AD: Noch eine doofe Frage: bist du in Mönchengladbach eigentlich mal den Jungs von EA80 über den Weg gelaufen?
PB: Nana, hat sich da etwa jemand nicht richtig vorbereitet? In der fünften Ausgabe gab es ein Interview mit den vier Mönchengladbachern. Ich habe mich vor ein paar Tagen noch mal an den ersten beiden Alben versucht, aber genau wie auch schon damals kann ich musikalisch überhaupt nichts anfangen mit EA80. Dahingegen waren sie menschlich absolut top. Sänger Martin lief ich ab und zu in Möchengladbach über den Weg, und meine Freundin Ina hat auch schon ein Praktikum in der Einrichtung gemacht, in der er arbeitet. Schlagzeuger Nico hat in der Altstadt eine kleine Kneipe, in der ich auch schon öfter Konzerte veranstaltet hab. Mönchengladbach ist ein Dorf, und man kannte sich halt und konnte sich schwer aus dem Weg gehen, wenn man es denn wollte. EA80 live durfte ich auch schon zwei- oder dreimal erleben, wobei ich den ganzen Hype, der um diese Band gemacht wird, nicht nachvollziehen kann. Alles superliebe und nette Menschen, aber auf den Plattenteller kommt daheim schon was anderes.
AD: Aber daran läßt sich gleich noch eine gute Frage anschließen: in vielen Punk-Zines lese ich immer wieder den Begriff „Studenten-Punk“ und auch sonst wird oft eher abfällig über Punks oder Punk-Freunde aus dem akademischen Umfeld geschrieben. Wie kommt’s? Ist EA80 auch Studenten-Punk? Wie definiert sich der? Und ist es nicht so, dass viele Punks selbst aus einem durchaus bürgerlichen und akademischen Umfeld kommen (Eltern z.B. Lehrer oder Unternehmer)? Ich war damals zu meiner Möchtegern-Punk-Zeit jedenfalls der einzige in meinem gesamten Punker-/Heavy-Freundeskreis, der nicht in einem Einfamilienhaus wohnte. Wird da durch das Studenten-Bashing so eine Art Abgrenzung gegen die eigene Herkunft versucht?
PB: Muff Potter sind für mich der Inbegriff von Studentenpunk, obwohl ich das eigentlich immer nur als leere Phrase verwende, also vergiss diese Katalogisierung. Ich unterteile sehr ungern in Schubladen, aber anscheinend braucht Punk heute 77 verschiedene Stilrichtungen und oft wird man schon schief angeguckt, wenn man mit einem Schleim-Keim Pulli auf ein Trend-Konzert geht. Punk ist Punk. Punkt. Lediglich eine Abgrenzung zu den ganzen stumpfen Ficken-„Oi!“- Pennern und rechtsoffenen Wichsern finde ich wichtig und notwendig, ansonsten soll doch jeder so, wie er, sie, es am liebsten mag.
AD: Danke für deine Antworten! Möchtest du zum Schluss noch etwas loswerden?
PB: Gern geschehen!