Fragen an Gianluca Umiliacchi (06/2014)
Alle Rechte an diesem Interview liegen bei Andreas Dölling [AD] und Gianluca Umiliacchi [GU].
Vorbemerkung
Es ist immer gut, den Blick auch einmal über den eigenen Tellerrand hinauszuheben. Erst recht im Zusammenhang mit Fanzines, einem Medium also, das von seiner Vielfalt lebt. – Heute spreche ich daher mit Gianluca, dem Vorsitzenden der Associazione Fanzine Italiane und Betreiber der Website fanzinoteca.it.
Ihr könnt Gianlucas Antworten auch im italienischen Original als PDF herunterladen.
Das Interview
(Vorbemerkung von Gianluca:)
GU: Andreas, ich bin der Vorsitzende des italienischen Vereins Associazione Fanzine Italiane, aber in diesem Interview antworte ich dir als Experte und Betreiber der italienischen Fanzine-Bibliothek Fanzinoteca, eines Projekts, das unser Verein vor vier Jahren mithilfe von ehrenamtlichen Mitarbeitern und in Zusammenarbeit mit der Fanzine-Szene auf die Beine gestellt hat und betreut.
AD: Gianluca, kannst du bitte zunächst einmal kurz erläutern, was die Associazione Fanzine Italiane ist? Handelt es sich dabei um einen größeren Verein, der vielleicht vergleichbar ist mit dem deutschen Archiv der Jugendkulturen in Berlin?
GU: Der 2005 gegründete italienische Verein Fanzine Italiane hat sich der Welt der italienischen Fanzine-Publikationen verschrieben [Anmerkung AD: der Verein ist rechtlich eine Associazione di Promozione Sociale, also in etwa so etwas wie ein Gemeinnütziger Verein in Deutschland, wenn ich es richtig verstehe].
Als einziger Verein seiner Art in Italien widmet er sich ganz der Fanzine-Kultur und befasst sich insbesondere mit den Fanzine-Herausgebern und -Lesern, den Fanzine-Veröffentlichungen sowie auch mit der Entstehungsgeschichte und wissenschaftlichen Untersuchung dieser autonomen Medien und setzt sich für deren Förderung und Erhalt ein.
Seit dem Jahr 2010 sind nun all diese Vereinsbereiche in die Fanzinoteca d’Italia übergegangen. Unsererseits bieten wir kostenlose Dienste für Fanzine-Aktive und/oder für diejenigen an, die sich für die Welt der Fanzines interessieren. Die ehemaligen und aktuellen Fanzine-Aktiven werden bei uns kostenlos als Ehrenmitglieder geführt. Daneben gibt es die ordentlichen Mitglieder und schließlich die Förderer (sehr wenige, leider!). Der Verein zählt zurzeit zirka 500 über ganz Italien verstreute Mitglieder, die jedoch nicht alle aktiv sind, und hat ein Internetportal mit verschiedenen Diensten und Informationen, das ebenfalls das einzige seiner Art in Italien ist. Das italienische Fanzine-Nationalarchiv „Bastian Contrario“ (zu Deutsch etwa „Widerspruchsgeist“ oder „Querdenker“), das zur Fanzinoteca d’Italia gehört, enthält circa 6.000 Exemplare von mehr als 1.500 Fan-Zeitschriften, die seit Anfang der sechziger Jahre bis heute veröffentlicht wurden! Möchte man eine deutsche Entsprechung für den italienischen Fanzine-Verein finden, so lässt sich die Arbeit der Fanzinoteca d’Italia mit dem vergleichen, was in Deutschland vom Berliner Archiv der Jugendkulturen angeboten wird, zumindest was die Fanzine-Archivierung und die Funktion als Fanzine-Bibliothek anbelangt.
AD: Erfährt die Associazione Fanzine Italiane irgendeine Form von Unterstützung vom italienischen Staat oder von öffentlichen Institutionen wie zum Beispiel einer Universität?
GU: Im Jahr 2008 schlug der Verein das Projekt der Fanzinoteca d’Italia – das italienweit erste und bisher einzige dieser Art – der Provinz Forli-Cesena vor, und dank der Unterstützung der Gemeinde Forli und des zweiten Bezirks konnte dann im Jahr 2010 dieses für die italienische Öffentlichkeit recht ungewöhnliche Projekt umgesetzt werden. Nachdem sich auch die Provinz – dank Dott.ssa Milena Bonucci Amadori – und die Gemeinde – dank der damaligen Ministerin für Jugendpolitik Liviana Zanetti – dem Vorhaben angeschlossen hatten und auch dank der Unterstützung des Präsidenten des zweiten Bezirks, Giulio Marabini, war es dem Fanzine-Verein Italiens am 25. September 2010 möglich, die Fanzinoteca d’Italia zu eröffnen.
Dieses Bibliotheksprojekt für Fanzine-Veröffentlichungen ist seit 2010 bis heute der Hauptmotor der Vereinstätigkeit. Die Einrichtung ist ein Anknüpfungspunkt, von dem aus sich Events, Veranstaltungen, Treffen und viele andere die italienische Fanzine-Landschaft betreffende Initiativen bestens anbieten und durchführen lassen. Der Projekt-Sitz, die dortige Räumlichkeit (ein Raum) und die laufenden Kosten werden von der Gemeinde getragen. Seit 2012 ist eine neue Stelle eingerichtet worden, die über eine spezielle Jobbörse für einen speziell eingegrenzten Personenkreis ausgeschrieben war, und so ist das Team der Fanzinoteca gewachsen. Die Region Emilia-Romagna hat im Jahr 2012 einen Kostenbeitrag für die technischen Geräte geleistet. Dieser Beitrag war bis heute der einzige Zuschuss, den wir erhalten haben. Alle anderen Dinge wie Mobiliar, diverse Ausrüstungsgegenstände, jährliche Betriebskosten, Aufwendungen für Veranstaltungen usw. müssen wir aus eigener Tasche finanzieren – und würden wir das nicht tun, dann wäre die erste Fanzinoteca erst in einem fernen Jahrhundert Realität geworden …
AD: Wie würdest du den aktuellen Zustand der Fanzine-Szene in Italien beschreiben? Konkreter gefragt: hast du den Eindruck, dass die Szene in Italien sehr aktiv und vernetzt ist oder eher nicht? In Deutschland scheint, so ist mein ganz persönlicher Eindruck, die Hochzeit der klassischen gedruckten Fanzines vorbei – hast du diesen Eindruck auch in Italien?
GU: Italien ist nach wie vor fruchtbares Terrain für das nationale Fanzine-Verlagswesen und seine Publikationen (ich denke, man muss hier anstatt von einer Community oder Szene tatsächlich eher von einem regelrechten Verlagswesen sprechen, wenn man bedenkt, dass seit den Fünfzigerjahren bis heute Hunderttausende von Fanzines veröffentlicht worden sind), und so gibt es in der Tat Hunderte von Fan-Zeitschriften, die der jeweiligen Szene-Leserschaft angeboten werden. Ein großer Anteil entfällt wie oben erwähnt auf die Print-Fanzines, die in Papierform erscheinen, aber viele andere werden auch über das Internet als Datei in unterschiedlichen Formaten wie PDF, Word usw. vertrieben, dabei aber stets mit Seitenumbruch im Zeitungsformat gesetzt, als gingen sie in den Druck, so dass auch sie als echte Fanzines einzustufen sind.
Unabhängig davon, auf welche Art sie erscheinen, werden all diese Fanzines nur veröffentlicht, weil es seitens einer ganz speziellen Szene- oder Liebhaber-Community, und sei diese auch noch so klein, eine gewisse Nachfrage danach gibt, und so erscheinen diese Fan-Magazine relativ spontan und werden auch nur für den der aktuellen Situation jeweils entsprechenden Zeitraum angeboten. Soweit sich dies also beurteilen lässt, kann man sehr wohl sagen, dass die italienische Fanzine-Kultur gerade eine positive Phase erlebt.
AD: Welche Fanzines würdest du nennen, wenn du die bedeutendsten oder die ältesten noch aktiven italienischen Fanzines nennen solltest? Gibt es vielleicht auch Publikationen auf Englisch, die für ein nicht Italienisch sprechendes Publikum im Ausland interessant sein könnten?
GU: Ob nun ein spezielles Fanzine bekannter als ein anderes ist, hängt von dem jeweiligen Thema und der betreffenden Fangemeinde ab, die sich damit beschäftigt. Einige bereits seit vielen Jahren erscheinende Fanzines, sind etwa das Fumetto-Fanzine, eine Comic-Zeitschift, die von der Associazione ANAFI herausgegeben wird und bereits auf eine 43-jährige Geschichte zurückblicken kann, aber auch Schizzo, die größte Comicbibliothek Italiens, herausgegeben vom Centro Andrea Pazienza. Daneben gibt es auch die ehemaligen Fanzines, die längst zu ganz offiziellen Zeitschriften avanciert sind, wie Rumore, Foglio Clandestino, Rockerilla, Fumo di China, Blow Up usw., und die nur noch der Titel mit dem ehemaligen Fanzine verbindet, während andere Fanzines, die zwanzig Jahre lang in Papierform publiziert wurden, mittlerweile als PDF-Dateien veröffentlicht werden und nun ihre Publikation über das Internet fortsetzten.
Auch einige neue Fanzines sind aufgrund ihrer speziellen Ausrichtung von Bedeutung, wie etwa die La Gazzetta di Clerville des Diabolik Club, ein Fanzine, das seit 18 Jahren erscheint und sich erstmalig auf eine einzige Comicfigur spezialisierte. Dann gibt es Fanzines, die bestimmten Persönlichkeiten aus Bühne und Fernsehen, aus der Musikszene oder der Welt des Kinos gewidmet sind und hier gibt es eine solch große Anzahl verschiedener Fanzines, dass man sie gar nicht alle aufzählen kann. Seit Anfang der Neunzigerjahre erscheinen auch Fanzines in englischer Sprache oder zweisprachig (italienisch-englisch), hierbei handelte es sich vornehmlich um Zeitschriften, die sich mit den einzelnen Musikszenen befassten und die nach dem Druck in Paketen ins Ausland verschickt und dort vertrieben und dann gegen ausländischen Fanzines eingetauscht wurden.
AD: Gibt es in Italien eine Szene, die das Medium Fanzine in besonderem Maße nutzt und prägt? In Deutschland scheint mir die Punk- und Hardcore-Szene sehr produktiv und ausdauernd zu sein. Aber auch im Bereich Lyrik, Literatur und „Social Beat“ gibt es hierzulande eine beachtliche Anzahl langlebiger Publikationen.
GU: Die italienische Fanzine-Landschaft ist eher allgemein ausgerichtet, auch wenn es Modetrends gibt, die in bestimmten Epochen (wie etwa in den 68-ern und den 77-ern) eine besondere thematische Entwicklung bewirkt haben. Wenn wir uns den heutigen allgemeinen Trend der Fanzine-Publikationen ansehen, würde ich sagen, dass es im Bereich der Musik- und Comic-Szene die größte Dynamik gibt, während in den anderen Fan- und Liebhaber-Communities vergleichsweise etwas weniger Veröffentlichungen erscheinen. Jedenfalls hat es in allen verschiedenen eingeschworenen Szene-Strömungen bzw. Fangemeinden eine mehr oder weniger fruchtbare Produktion von Fan-Magazinen gegeben, wobei sich die einzelnen Fanzines eben von Fall zu Fall mehr oder weniger lange halten konnten.
Was die Unterteilung in einzelne Szene- oder Subkulturen betrifft, so gruppiere ich die einzelnen Strömungen in eher grobe Themenbereiche, wobei es zu jedem Bereich eben noch zahlreiche Unterthemen gibt (so hat etwa die Musik als Subszene Klassik, Rock, Punk, Schlager, Liedermacher, etc.). Ich halte es also für sinnvoll bei der Fanzine-Produktion eher die ganz allgemeine Interessensgruppe zu betrachten als nur die jeweiligen Untergruppen, wobei die jeweiligen Daten und Zahlen dann natürlich entsprechend zugewiesen und erläutert werden müssen.
AD: Welchen Einfluss haben nach deiner Beobachtung das Internet und insbesondere Social Networks wie Facebook (und früher mal MySpace) auf die Fanzine-Szene? In Deutschland hat sich ein großer Teil der Aktivität aus meiner Sicht in das Internet verlagert. Auch verschwimmt die Abgrenzung zwischen Fanzine und Blog. – Wie ist es in Italien?
GU: Den zum Thema des italienischen Fanzine-Verlagswesens angestellten Forschungen und Untersuchungen zufolge gibt es eine genaue Definition der Online-Fanzines, und zwar: Alle Veröffentlichungen, die wie für den Druck mit Seitenumbruch im Zeitungsformat gesetzt sind und auch im Internet angeboten werden, egal, in welchem Dateiformat, gelten als Fanzines. Bei allen anderen Veröffentlichungen im Netz (Homepages, Blogs, Social Networks, etc.) handelt es sich nach dieser Definition um andere Kommunikationsmittel. Es gibt also eine klar definierte Abgrenzung zwischen den Veröffentlichungen im Internet, die per „Web Publishing“ erstellt werden (Homepages, Blogs, Social Networks, etc.), und den klassischen Zines, wobei viele der im Internet veröffentlichten Fanzines in Verbindung mit dem eigentlichen Papierprodukt angeboten werden. Die Macher eines in Papierform hergestellten und erscheinenden Fanzines haben also erfreulicherweise keine Berühungsängste mit dem Internet. Soweit man feststellen kann, sind die Fanzines in Papierform mancherorts im Verlauf der Jahre eher vernachlässigt worden, während man sich mehr darauf konzentriert hat, die Inhalte stattdessen auf den jeweils genutzten Internetseiten zu erweitern und zu aktualisieren.
Nach der Entwicklung der Neunzigerjahre bilden die umfassenden Homepages im Internet heute eine wichtige und nützliche Plattform, mithilfe derer sich insbesondere auch die Geschichte der italienischen Fanzine-Kultur dokumentieren und erfassen lässt und durch die viele der in diesem Zusammenhang erschienenen Materialien zugänglich sind.
AD: Siehst du das Internet denn eher als Chance für die Fanzine-Szene oder eher als Bedrohung? Aus welchen Gründen?
GU: Wie alle Dinge, die man maßvoll und mit Verstand einsetzt, so ist auch das Internet eine wichtige und wertvolle Unterstützung für die italienische Fanzine-Kultur. Aus diesem Grund hat die Verwendung des Internets und der entsprechenden Technologien (E-Mail, Skype, usw.) zur der rasanten Entwicklung und Verbreitung der Fanzine-Veröffentlichungen beigetragen und tut es noch. Denn dank der Möglichkeit, schnell unzählige Kontakte knüpfen und Bilder, Artikel, Comics etc. ohne Versandkosten verschicken zu können, und der Möglichkeit, die Mitarbeiter-Teams und auch den Absatz maßgeblich vergrößern zu können (und all dies ohne großen Kostenaufwand), sind in den letzten Jahrzehnten viele neue Fanzines entstanden, von denen sich ein Großteil auch qualitativ gut entwickelt.
Aber wie so oft gibt es auch hier eine Kehrseite der Medaille und so hat das Internet hier auch einen negativen Aspekt: Da es so leicht ist, ein Fanzine online zu stellen, hat dies viele Nutzer dazu motiviert, neue Fan-Zeitschriften zu veröffentlichen, aber genauso schnell wie diese neuen Fanzines entstanden sind, sind sie in vielen Fällen auch wieder verschwunden und so hat der Großteil der Online-Fanzines eine nur kurze Lebensdauer.
AD: Es gibt in Italien ja große Unterschiede zwischen den Regionen, insbesondere zwischen dem Norden und dem Mezzogiorno – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell. Inwieweit spiegelt sich das auch in der Fanzine-Szene Italiens wider?
GU: Die angesprochenen Unterschiede schlagen sich auf den Seiten italienischer Fanzines nicht oder zumindest kaum erkennbar nieder. Es gibt spezielle Fälle, etwa Zines mit satirischer Ausrichtung, in denen gezielt regionaler Dialekt verwendet oder auf kulturelle Eigenheiten bestimmter Regionen angespielt wird.
In Sizilien und Sardinien gab und gibt es eine ebenso produktive Fanzine-Szene wie in allen anderen Regionen Italiens und ebenso engagierte Fanzinari, die sich sich im Laufe der Zeit über ihre Leidenschaft zu bedeutenden Profis entwickelt haben. Hierzu ein Beispiel aus dem Bereich der italienischen Comic-Szene: Die Science-Fiction-Figur Nathan Never wurde einst von drei jungen Fanzine-Aktiven aus Sardinien erdacht und entwickelt. Ich könnte dir hier noch viele andere solcher Fälle nennen.
Verschiedene Untersuchungen und Studien seit 1980 zeigen meiner Ansicht nach, dass die Fanzine-Kultur Italiens in Produktivität und Vielfalt keine nennenswerten regionalen Unterschiede aufweist.
AD: In Deutschland gibt es immer mal wieder Veranstaltungen, wo sich Fanzine-Aktive einmal persönlich treffen, ihre Publikationen präsentieren und neue Kontakte knüpfen können. Wie zum Beispiel das Zinefest Berlin oder die Minipressen- Messe in Mainz. – Gibt es ähnliche Veranstaltungen auch in Italien? Organisiert vielleicht die Associazione Fanzine Italiane selbst solche Treffen?
GU: Gerne würde die Fanzinoteca d’Italia ein nationales Event auf die Beine stellen, aber im Moment fehlt es leider an den dazu notwendigen Mitteln, persönlich wie wirtschaftlich. Es gibt aber eine Jahresveranstaltung, die seit vielen Jahren stattfindet und die auf die Fanclubs und auf deren Fanzine-Produktion ausgerichtet ist, so dass diese Veranstaltung naturgemäß etwas festgelegter und daher beschränkter ist. Es gibt Anbieter, die von Zeit zu Zeit in verschiedenen Gegenden Italiens kleinere oder auch größere Veranstaltungen anbieten, die nicht regelmäßig und nicht auf Dauer angelegt sind und sich auch nicht durchsetzen. Obwohl sie als Fanzine-Veranstaltungen ausgeschrieben werden, sind sie jedoch meist oder zum größten Teil, den im Selbstverlag publizierten Eigenveröffentlichungen gewidmet, die von den echten Fanzines abzugrenzen sind.
AD: Nach meiner Erfahrung (natürlich nicht repräsentativ!) sprechen viele Menschen, auch junge Menschen, in Spanien, Frankreich und eben auch Italien nicht so gerne Englisch. Glaubst du, dass dadurch die Fanzine-Szene automatisch weniger internationale Verbindungen und Einflüsse hat, also stärker regional geprägt ist? – Wenn es deiner Meinung nach so ist: welche Vor- und Nachteile siehst du darin?
GU: Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich sagen, dass fast alle meine Bekannten englisch sprechen, lesen können sie es vielleicht nicht ganz so gut, aber ich glaube trotzdem nicht, dass dies zu Kommunikationsschwierigkeiten führt. Ich denke eher, dass der Charakter der italienischen Fanzine-Kultur, die einen anderen Hintergrund und andere Vorstellungen hat als in angelsächsischen Ländern, eine gewisse Hürde darstellt für die Verbreitung der italienischen Publikationen, selbst wenn Vertrieb und ein gewisser Bekanntheitsgrad gegeben sind.
Heutzutage sprechen die jüngeren Fanzine-Aktiven allesamt gut englisch, gerade auch weil sie das Internet benutzen, und die Entfernungen sind analog dazu merklich geschrumpft: Eigentlich sollte es so kein Problem mehr sein, die Produkte der italienischen Fanzine-Szene im Ausland anzubieten, wenn da nicht die Tatsache wäre, dass Fanzines eben doch Publikationen sind, die die verschiedenen Strömungen und Vorlieben innerhalb einer ganz bestimmten Gesellschaft abbilden, und somit indirekt auch die Kultur und Tradition eines Landes reflektieren, was natürlich dann für Fanzine-Begeisterte anderer Länder nicht immer ganz leicht nachzuvollziehen ist, da sie in einer anderen Kultur und mit anderen Traditionen aufgewachsen sind.
AD: Wie stehst du zu der Frage, ob ein Fanzine kommerziell sein darf oder nicht? In der deutschen Zine-Szene wird das immer wieder diskutiert, insbesondere wenn eine Publikation sehr erfolgreich geworden ist und allmählich zu einem etablierten Magazin wird. Muss ein Zine-Macher seine gedankliche und künstlerische Arbeit verschenken?
GU: Ich habe diese Frage vielleicht nicht ganz richtig verstanden, weil es in Italien sowohl kostenlose als auch verkäufliche Fanzine gibt. Und ob man sich für die eine oder andere Form entscheidet, macht in der Sache keinen großen Unterschied. Die Notwendigkeit, einen Preis zu erheben, entsteht dann, wenn die Fanzine-Herausgeber keinerlei Fördergelder erhalten und deshalb gezwungen sind, ihr Fanzine aus eigener Tasche zu bezahlen; indem sich nun ein Teil der notwendigen Mittel durch einen Verkaufspreis finanziert, ist damit auch sichergestellt, dass noch Geld für die Auflage weiterer Folgehefte des Fanzines verbleibt und so ist für das Fanzine eine gewisse finanzielle Zukunft angelegt. Ich kann dir aber versichern, Andreas, dass die Herausgeber eines Fanzines auch dann, wenn sie für die jeweilige Fanzine-Folge ein Kostenbeitrag erheben, nur in seltenen Fällen soviel Geld hereinbekommen, dass sie ihre Kosten decken können, und daher wirst du verstehen, dass hier keinesfalls das Ziel wirtschaftlichen Gewinns unterstellt werden kann. Anders sieht es bei den im Selbstverlag herausgebrachten Eigenpublikationen aus, denn diese erscheinen natürlich mit einer Gewinnabsicht und aus dem Anreiz heraus, dass seitens des Handels eine Nachfrage besteht. Aber die üblichen Fanzines haben mit diesen Produkten nicht so viel gemein.
AD: Danke, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast, Gianluca! Möchtest du zum Schluss noch etwas loswerden?
GU: Ich danke Dir, Andreas, für das Interview und für das Interesse daran, wie sich das Medium Fanzine in anderen Ländern entwickelt. Ergänzend ist mir noch wichtig, zu betonen, dass die Fanzine-Kultur, so wie ich sie oben beschrieben habe, in Italien in den fünfziger Jahren entstanden ist. Der Vertrieb der im Selbstverlag publizierten Eigenveröffentlichungen geht hingegen auf die Mitte der Neunzigerjahre zurück. Dieser Vertrieb ist eher kommerziell orientiert und richtet sich nach dem jeweiligen Trend. Im Gegensatz zu den echten Fanzines handelt es sich hierbei auch nicht um Veröffentlichungen, die aus einer speziellen Leidenschaft und dem Bedürfnis nach Kommunikation und Gedankenaustausch heraus entstehen.
Es ist wichtig, die Unterschiede der vielfältigen Publikationen zu verstehen, etwa die jeweilige Szene (Mod, Underground, Punk, Feminismus, usw.) oder eben auch diejenigen Veröffentlichungen, die sich nicht zu den Fanzines zählen lassen (in Italien werden diese Erscheinungen offiziell als Letteratura Grigia bezeichnet), um so Geschichte und Realität einer sehr wichtigen gesellschaftlichen und kulturellen Erscheinung würdigen zu können – und zudem die vielen Fehler und Irrtümer zu vermeiden, die schon über die Welt der Fanzines verbreitet wurden.