Fragen an die Deutsche National­bibliothek (06/2008)

Hinweis: Alle Rechte an diesem Interview liegen bei Andreas Dölling [AD] und der Deutschen Nationalbibliothek.

Logo der Deutschen Nationalbibliothek

Vorbemerkung

In der Sommerfragestunde bei fanzineindex.de verlassen wir einmal die vertrauten Pfade und unterhalten uns dieses Mal nicht mit einem Fanzine-Herausgeber. Stattdessen richten wir unsere Fragen an Stephan Jockel [SJ], Pressesprecher der Deutschen Nationalbibliothek, und an Catharina Sodann [CS] von der Zeitschriftenstelle der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig, zu deren Aufgaben auch die Archivierung von Fanzines gehört, die in Deutschland publiziert werden.

Das Interview

AD: Jeder Fanzine-Herausgeber bekommt es früher oder später mit Ihnen oder Ihren Kolleginnen und Kollegen zu tun. Für die meisten Fanziner ist es allerdings eine große Überraschung, wenn sie plötzlich Post von der Deutschen Nationalbibliothek bekommen mit der Bitte um Zusendung von Pflichtexemplaren des jeweiligen Heftchens. Vielleicht können wir an dieser Stelle einmal ein bisschen Licht ins Dunkel bringen. Beschreiben Sie doch einmal kurz, was die Deutsche Nationalbibliothek eigentlich ist und was sie dazu bewegt, sich auch mit kleinen Fanzines zu befassen.

SJ: Die Deutsche Nationalbibliothek ist die zentrale Archivbibliothek und das nationalbibliografische Zentrum der Bundesrepublik Deutschland. So steht es im Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek vom 22. Juni 2006. Dieses Gesetz ist aber nicht neu, es ist eine Novellierung des seit 1969 in Deutschland existierenden Gesetzes. Die Deutsche Nationalbibliothek selbst ist noch älter, sie wurde 1912 in Leipzig unter dem Namen „Deutsche Bücherei“ gegründet. Die Bibliothek hat die Aufgabe, das deutsche kulturelle Erbe in Schrift, Bild und Ton vollständig und dauerhaft zu bewahren. Sie ist also quasi das kulturelle Gedächtnis Deutschlands für schriftliche und musikalische Veröffentlichungen. Sie kommt ihrem Auftrag an ihren Standorten Leipzig und in Frankfurt am Main nach. Außerdem gehört das Deutsche Musikarchiv in Berlin zu ihr. Ihre Sammlungen stellt sie der Allgemeinheit zur Benutzung zur Verfügung. Aus Gründen des Bestandsschutzes allerdings nur in den Lesesälen ihrer Bibliotheksgebäude.
Die Vollständigkeit ist der Grund dafür, sich auch mit „kleinen“ Fanzines zu befassen. Die Deutsche Nationalbibliothek sammelt mit wenigen Einschränkungen einfach alles, was in Deutschland veröffentlicht wird. Wenn es denn einen Umfang von wenigstens 5 Seiten und eine Auflage von mindestens 25 Exemplaren hat. Ob die Veröffentlichung in einem gewerblichen Verlag erscheint oder von einem Verein oder einem privaten Herausgeber veröffentlicht wird, spielt überhaupt keine Rolle. Mit der Novellierung des gesetzlichen Auftrages wurde dieser Sammelauftrag vom Deutschen Bundestag nicht nur eindrucksvoll bestätigt, er wurde sogar um Netzpublikationen, also um reine Onlineveröffentlichungen, erweitert.

AD: Was passiert eigentlich mit den Fanzines, die Sie zugeschickt bekommen?

SJ: Die rund 1.200 Publikationen, um die unser Bestand an jedem Arbeitstag wächst, werden formal, also äußerlich, und sachlich, das bedeutet inhaltlich, erschlossen. Diese Informationen sind in der Deutschen Nationalbibliografie, das ist unser Katalog, der im Internet zur Verfügung steht, verzeichnet. Jede Veröffentlichung ist damit für alle Interessierten recherchierbar. Die beiden Exemplare, die wir als Pflichtexemplare kostenlos erhalten, werden in den Magazinen in Leipzig und in Frankfurt aufbewahrt. Dort herrschen optimale Bedingungen, um die Sammlung über sehr lange Zeit aufzubewahren. Wenn ein Benutzer sich für die Werke interessiert, kann er sie bestellen und in den Lesesälen einsehen.

CS: Ganz konkret sieht das so aus, dass wir die täglich ca. 1.000 in Leipzig eingehenden Zeitschriftenhefte Stück für Stück in unser Erfassungssystem eintragen, mit unserem Siegelstempel und mit einer Signatur versehen, unter der wir sie in unserem Magazin einstellen und wiederfinden können. Damit besitzen wir einen ganz konkreten Nachweis darüber, von welchen Titeln wir welche Ausgaben erhalten haben. Genauso können wir natürlich erkennen, wenn uns bestimmte Ausgaben eines Titels noch nicht erreicht haben. Automatisch erzeugt unser Erfassungssystem nach einem vorgegebenen bestimmten Rhythmus zu diesen fehlenden Heften Mahnschreiben, die wir dann an die entsprechenden Verleger oder Herausgeber versenden können.
Insgesamt werden auf diese Weise in Leipzig ca. 26.000 laufende Zeitschriftentitel bearbeitet, in der Deutschen Nationalbibliothek insgesamt knapp 58.000.

AD: Können Sie sagen, seit wann die Deutsche Nationalbibliothek auch Fanzines sammelt und wie groß mittlerweile der archivierte Bestand ist? In Ihren Regalen müssen doch mittlerweile Unmengen an Untergrund-Publikationen liegen – und zwar aus der Natur der Sache heraus fast ausschließlich richtige Schätzchen und Raritäten.

SJ: Die Sammlung von Fanzines ist keine neue Aufgabe der Deutschen Nationalbibliothek. Wir sammeln diese Veröffentlichungen wie alle anderen, ohne jede Bewertung oder Auswahl. Prinzipiell also seit es die Bibliothek gibt, praktisch bedeutet das, seit dem Aufkommen der Fanzines. Allerdings natürlich nur, wenn wir die Werke zugeschickt bekommen, oder wenn wir anderweitig von ihrem Erscheinen erfahren und sie dann anfordern können.

CS: Einen ganz genauen Überblick über die Anzahl an Fanzines, die die Deutsche Nationalbibliothek mittlerweile archiviert hat, kann man nicht geben, da Fanzines zusammen mit allen anderen Publikationen erfasst und eingestellt werden. Die Erschließung von Fanzinen erfolgt nicht nach besonderen Regelungen, sie werden auch nicht als spezielle Literaturgattung nachgewiesen. Fanzines in unserem umfangreichen Bestand lassen sich nur mittels konkreter Titelsuche recherchieren.
Genauso schwierig wie die Suche speziell nach Fanzines in unserem Katalog stellt sich für uns die Ermittlung von Fanzines dar, die wir noch nicht in unserem Bestand nachweisen können. Für die Suche nach noch unbekannten Fanzine-Titeln sind wir auf alle möglichen Rechercheinstrumente wie Internet, Datenbanken und Literaturverzeichnisse oder auf die Auswertung von Hinweisen in anderen Fanzines angewiesen. Gerade bei so spezieller Literatur wie im Fall der Fanzines sind wir natürlich immer bestrebt, eine größtmögliche Vollständigkeit zu erreichen, zum einen wegen unserer besonderen Aufgabe in Deutschland und zum anderen dürfte diese Literatur sicher in nur wenigen anderen Bibliotheken vorhanden sein.

AD: Welchen Stellenwert haben Fanzines für die Nationalbibliothek? Sammelt man sie eher der Vollständigkeit halber oder interessiert man sich tatsächlich für Fanzines als Bestandteil der Kultur unseres Landes, als ganz besonderes Medium, das ja durchaus auch Einfluss auf die etablierten Medien hat?

SJ: Der Sammelauftrag der Deutschen Nationalbibliothek unterscheidet sich von dem anderer Bibliotheken in einem entscheidenden Punkt: Wir sammeln alles was erscheint. Im Vordergrund steht dabei tatsächlich die Vollständigkeit, um das kulturelle Erbe an einer Stelle geschlossen zu sammeln und dauerhaft verfügbar zu halten. Insofern verstehen wir Fanzines tatsächlich als Teil der Kultur unseres Landes, ohne sie aber in irgendeiner Weise zu bewerten. Eine Einordnung in das kulturelle Bild, eine Bewertung ihrer Wirkung bleibt den Benutzern vorbehalten, die im Rahmen ihrer Arbeiten den Bestand der Deutschen Nationalbibliothek nutzen und dabei sicher sein können, wirklich alles vorzufinden, was erschienen ist.

AD: Wird das Zeitschriften- bzw. speziell das Fanzine-Archiv der Nationalbibliothek eigentlich tatsächlich von dritten Personen genutzt? Also beispielsweise von Medienforschern, von Germanistik- oder Kunststudenten oder von Journalisten?

CS: Die Nutzer der Deutschen Nationalbibliothek gehören den verschiedensten Berufsgruppen an. Tatsächlich lesen in unseren historischen Räumen neben Professoren, Doktoren, Studenten und Wissenschaftlern aus sämtlichen Fachgebieten auch Interessierte aus allen Bevölkerungsschichten. Pro Tag verzeichnen wir in unseren Lesesälen in Leipzig und Frankfurt ca. 1.800 Leser und knapp 4.000 Bestellungen. Wir gehen davon aus, dass auch Fanzines unter diesen Bestellungen sind und im Rahmen von Forschungsarbeiten oder für wissenschaftliche Auswertungen genutzt werden. Statistische Erhebungen, welche Werke wie oft ausgeliehen werden, führen wir nicht durch.

AD: Wie die meisten Fanzine-Macher hatte auch ich noch nie etwas von der Deutschen Nationalbibliothek gehört, bis eben der eingangs beschriebene Brief kam. Ich wusste nichts von den gesetzlichen Regelungen zur Abgabe von Pflichtexemplaren, empfand zudem das förmliche Anschreiben als recht unfreundlich – und reagierte mit einigem Misstrauen. Auch von anderen Fanzinern weiß ich, dass sie die Anforderung der Pflichtexemplare nicht mit einem Interesse der Deutschen Nationalbibliothek assoziierten, sondern mit einer Form von Kontrolle und Zwang, mit Amtsschimmel. Wie sehen Sie das? Liegt hier nur Desinformiertheit der Fanzine-Macher zugrunde? Oder würden Sie sagen, dass die Deutsche Nationalbibliothek vielleicht etwas versäumt hat? Könnte man nicht mehr auf die Fanzine-Szene zugehen und speziell für dieses Klientel Informationen bereitstellen? Und vielleicht auch das trockene Anschreiben einmal deutlich umformulieren (immerhin richtet es sich ja nicht an millionenschwere Medienkonzerne mit einer eigenen Rechtsabteilung, sondern an Idealisten, die ihre Hefte völlig unkommerziell publizieren)?

SJ: Natürlich wirkt ein Brief, der allen juristischen Anforderungen entspricht, schnell etwas trocken. Das ist aber nicht zu vermeiden, denn wenn auch Fanzine-Herausgeber zumeist keine Rechtsabteilungen beschäftigen, so muss doch das Schreiben, das wir verschicken, einer juristischen Prüfung Stand halten können. Bei allem Verständnis für das Engagement der Herausgeber von Fanzines muss klar bleiben: Die Deutsche Nationalbibliothek erfüllt einen gesetzlichen Auftrag. Das Pflichtexemplarrecht mit der kostenlosen und unaufgeforderten Ablieferung zu bedienen, ist die gesetzliche Pflicht derjenigen, die etwas veröffentlichen. Und nun haben wir das Glück, hier miteinander sprechen zu können und auf diese Weise Fanzine-Herausgeber über die Existenz und die Aufgabe der Deutschen Nationalbiblothek – und auch über ihre Pflichten als Herausgeber zu informieren.
Und was das Interesse der Deutschen Nationalbibliothek angeht: Unser Auftrag sagt uns klar, wo unser Interesse liegt. Bei der Vollständigkeit der Sammlung. Das hat den großen Vorteil, dass die Deutsche Nationalbibliothek eben nicht wertet, auswählt, „sich interessiert“, sondern die bloße Veröffentlichung eines Fanzine bereits zum Anlass nimmt zu sagen: Hier hat sich ein Stück kulturelles Schaffen in einer Publikation manifestiert, das gehört in die Sammlung.

CS: Betrachtet man die große Anzahl der täglich eingehenden Veröffentlichungen, dann wird sehr schnell klar, dass hier formale Schreiben für die Beschaffung eingesetzt werden müssen. Das Schreiben von individuellen Briefen und das direkte Eingehen auf spezielle Gruppen von Herausgebern schließt sich dadurch eigentlich aus. Bisher ist es uns aber trotz der immensen Menge meist gelungen, einen recht guten, manchmal schon fast persönlichen Kontakt zu den Verlegern und Herausgebern zu pflegen, so dass sich schon das eine oder andere Problem auch per Telefon oder E-Mail klären lässt.

AD: Welche Kriterien müssen denn überhaupt erfüllt sein, damit eine Publikation unter die Pflichtexemplarregelung fällt? Die Auflage oder die Gewinnerzielungsabsicht spielen ja offenbar keine Rolle.

SJ: Das stimmt, die Gewinnerzielungsabsicht spielt für die Deutsche Nationalbibliothek keine Rolle. Die Auflage ist aber durchaus ein Kriterium, das habe ich vorhin ja schon erwähnt. Während im Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek der Sammelauftrag ganz allgemein und sehr umfassend definiert wird, findet sich dort auch eine sogenannte Verordnungsermächtigung. Der Kulturstaatsminister bekommt damit die Möglichkeit, eine Verordnung zu erlassen, die den Sammelauftrag konkretisiert. Das wird mit der Neufassung der bisherigen Pflichtstückverordnung, die dann Pflichtablieferungsverordnung heißt, für diesen Sommer erwartet. In ihr sind auch einige Publikationsgattungen benannt, die von der Sammlung und damit von der Pflichtablieferung ausgenommen werden, weil z.B. deren Auflage oder Umfang zu gering ist bzw. sie ephemeren oder akzidentiellen Charakters sind und ihre Langzeitarchivierung nicht im öffentlichen Interesse liegt.
Den jeweils aktuellen Text dieser Verordnung kann man im Internet auf den Seiten der Deutschen Nationalbibliothek im Abschnitt „Rechtliche Grundlagen“ des Bereichs „Wir über uns“ nachlesen. Mit den Sammelrichtlinien, einer Arbeitsanweisung der Bibliothek, wird das dann noch weiter heruntergebrochen.

CS: Die Sammelrichtlinien sind unser Arbeitsinstrument für den Bestandsaufbau, sie basieren auf unserem Gesetz und der Pflichtablieferungsverordnung. Aufgrund des aktuellen Zugangs ist tagtäglich festzulegen, ob dieses oder jenes auch zum Sammelgebiet gehört. Solche detaillierten Entscheidungen werden in den Sammelrichtlinien festgehalten.

AD: Was passiert eigentlich, wenn ein Fanzine-Herausgeber – aus welchem Grund auch immer – sagt: „Nö, ich schicke denen kein Heft zu“? Muss er dann mit Zwangsmaßnahmen rechnen? Oder hat er dann eben einfach die Chance verpasst, sein Blatt im Archiv einer so ehrwürdigen Institution aufbewahrt zu wissen?

SJ: Er verpasst die Chance, sein Fanzine in der Deutschen Nationalbibliografie nachweisen zu lassen und sein Werk den Benutzern der Deutschen Nationalbibliothek an die Hand zu geben und – so pathetisch es auch klingt – es für die Nachwelt aufbewahren zu lassen. Aber das ist nicht alles. Es handelt sich, darum kreisen wir in diesem Gespräch immer wieder, um einen gesetzlichen Auftrag, den die Deutsche Nationalbibliothek zu erfüllen hat. Wer in Deutschland etwas veröffentlicht, ist, ebenfalls per Gesetz, dazu verpflichtet, an diesem Auftrag durch Ablieferung der Pflichtexemplare mitzuwirken. Ein „Nö“ können wir da nicht hinnehmen. Wenn uns die Exemplare nicht freiwillig geschickt werden, müssen wir mahnen. Und wenn das nichts nutzt, dann dürfen wir uns die Veröffentlichung auf Kosten des Ablieferungspflichtigen selbst beschaffen. Und schlimmstenfalls droht sogar ein Bußgeld.

AD: Vielleicht fürchten manche Fanziner auch, dass die Nationalbibliothek als quasi-amtliche Einrichtung aus Kollegialität an andere Institutionen „petzen“ könnte, falls sie auf problematische Inhalte oder rechtliche Unzulänglichkeiten stößt – beispielsweise die Verwendung von Foto- und Bildmaterial ohne Zustimmung des Rechteinhabers, ein unvollständiges oder fehlendes Impressum oder ganz einfach politisch extreme oder auch nur missliebige Inhalte. Wie hält es die Nationalbibliothek damit?

SJ: Die Deutsche Nationalbibliothek „petzt“ nicht – aber sie arbeitet öffentlich. Die Früchte ihrer Arbeit, die Katalogeinträge, werden von vielen Bibliotheken übernommen und stehen ja auch im Netz frei zur Verfügung. Allerdings: Für die Beachtung der geltenden Gesetze, und dazu zählt auch der korrekte Umgang mit Urheberrechten, ist derjenige verantwortlich, der etwas veröffentlicht. Wir prüfen das nicht, wir werten nicht und wir informieren außer auf dem Weg der Katalogeinträge auch keine andere Institution über die Dinge, die wir erhalten.

CS: Inhaltliche Aspekte der Fanzine nehmen wir zur Kenntnis, eine Wertung bzw. Begutachtung erfolgt nicht, und aufgrund der riesigen Mengen an Publikationen können wir gar nicht prüfen, ob alle rechtlichen Bestimmungen bei der Veröffentlichung eingehalten worden sind. Das ist auch nicht unsere Aufgabe. Bei der Bearbeitung in unserem Hause sind alle Publikationen gleich gestellt und werden nach denselben Regelungen behandelt. Ob wissenschaftliche Veröffentlichung, Roman, Kochbuch, Comic oder Sachbuch, alle Veröffentlichungen sind uns gleich wichtig. Und ein großer bedeutender Verlag wird genauso konsequent aufgefordert abzuliefern wie ein „kleiner“ privater Herausgeber.

AD: Arbeitet die Zeitschriftenstelle der Nationalbibliothek mit ähnlichen Archiven und Verzeichnissen zusammen? Das könnte ja eine Möglichkeit sein, die Kluft oder Fremdheit zwischen Zine-Szene und Nationalbibliothek zu überwinden, da etwa das „Archiv der Jugendkulturen“ in Berlin oder meinetwegen auch fanzineindex.de vermutlich schon deutlich „basisnäher“ sind.

CS: Bisher hatten wir, wie Sie selber schreiben, nur Kontakt mit einzelnen Herausgebern von Fanzinen, eine Verbindung mit Fanzine-Plattformen gab es nicht. Das Interview auf den Internetseiten von fanzineindex.de bietet uns deshalb die Chance, uns nicht nur vorzustellen, sondern vielleicht auch Interesse und Verständnis für unsere Aufgaben und unsere Arbeit zu wecken und Berührungsängste abzubauen.
Wir betrachten dieses Interview durchaus als Anregung, uns weiter mit der Zine-Szene und ihren Veröffentlichungen zu beschäftigen. So konnten wir zum Beispiel festellen, dass von den auf Ihren Internetseiten vorgestellten Fanzinen einige schon regelmäßig bei uns eingehen, während andere, die für die Deutsche Nationalbibliothek von Interesse sind, noch in unserem Bestand fehlen.

AD: Können Sie überblicken, wie sich die Fanzine-Landschaft in Deutschland entwickelt hat, seit die Nationalbibliothek Fanzines sammelt? Gibt es heute eher mehr Fanzines als vor zehn oder zwanzig Jahren? Oder gab es vielleicht eine Hochphase, die nun vorbei ist? Hat das Internet spürbare Auswirkungen gehabt (es gib ja mittlerweile sehr viele reine Web-Zines)?

CS: Das ist eine schwierige Frage. Wir haben einige Fanzine, die schon über einen sehr langen Zeitraum laufen, und es gibt eine Menge, die nur für eine kurze Zeit erschienen sind. Eine Tendenz können wir daraus aber nicht ableiten. Es gibt allerdings eine allgemeine Beobachtung: Individuelles Schrifttum, zu dem wir auch die Fanzine zählen würden, hat in letzter Zeit stark zugenommen. Die enormen technischen Veränderungen der letzten Jahre erleichtern es ja vielen Herausgebern, ihre Werke selbst zu publizieren.
Mit dem Beginn des Internets gingen für viele unserer Veröffentlichungen Veränderungen einher. Das heutige Veröffentlichungsmedium ist häufig ein Online-Publikation, die nicht selten die Printausgabe ablöst oder neben dieser existiert. Das ist bei allen Zeitschriften zu beobachten, auch bei den Fanzines.

AD: Interessieren Sie sich privat für Fanzines? Welchem Genre gilt gegebenenfalls Ihre Vorliebe?

CS: Bisher hatte ich eigentlich nur beruflich und ganz formal bei meiner Arbeit mit Fanzines zu tun. Erst die Beschäftigung mit dem Interview hat dazu geführt, mich mal etwas konkreter, auch inhaltlich mit dieser Publikationsart zu befassen. Von den Themen her bieten Fanzine ein breites Spektrum, meine Interessen lägen sicherlich eher im literarischen und kulturellen Fanzine-Bereich. Auf jeden Fall werde ich die Fanzines, die in unserem Hause eingehen, ab jetzt aufmerksamer betrachten.

SJ: Ich habe bisher noch keine Fanzines in Händen gehabt.

AD: Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für die fanzineindex.de-Fragestunde genommen haben! Möchten Sie zum Schluss vielleicht noch etwas loswerden?

CS: Gerade wir in der Deutschen Nationalbilbliothek wissen, wie viele unterschiedliche Veröffentlichungen es in Deutschland gibt. Jede dieser Veröffentlichungen bereichert die deutsche Literaturlandschaft. Deshalb bleiben Sie kreativ und schaffen Sie mit Ihren Fanzinen einen ganz besonderen, eigenständigen Teil dieser Landschaft. Die Deutsche Nationalbibliothek wird ihn für die Zukunft bewahren.